Ich bin gerade etwas überwältigt von emotionalen Kraft dieser Platte. Von der ergreifenden Melancholie, dem reinen, großen Herz dieser Songs. Dieses Jahr war nicht arm an guter Musik, aber es ist echt lange her, dass mich ein Album so bewegt hat. In Zeiten des postmodernen, ironisch von sich selbst distanzierten Rock'n'Rolls, dessen Seele sich meist nur auf einer verschwurbelten Metaebene offenbart, ist der grundehrliche und vollkommen unironische, dennoch bescheidene und niemals prätentiöse Indie Rock von Michael Beach ein unerwartetes und wertvolles Geschenk. Musik, die in jeder Hinsicht am Zeitgeist vorbei geht, der das absolut bewusst und gleichermaßen scheißegal ist.
Michael Beach kommt aus Melbourne und ist manchen vielleicht auch als Sänger und Gitarrist der viel lauteren Band Shovels bekannt. An dieser Stelle ist er vor längerer Zeit schon mal mit seinem dritten Album Golden Theft aufgefallen, das schon einige große Momente hatte, aber auch sehr fragmentiert wirkte, unentschlossen zwischen folkigen Americana-Einflüssen und klassischem Indierock oszillierte. Dass wir es mit einem begnadeten Songwriter zu tun haben, machten dessen Höhepunkte aber schon endrucksvoll klar.
Das neue Minialbum Gravity/Repulsion wirkt da mehr wie aus einem Guss und zelebriert eine Form von Indierock, die schon lange ausgestorben scheint. Auf's Wesentliche reduziert, auch in der Laufzeit. Gerade mal fünf Songs, plus drei instrumentale Interludes. Aber diese fünf Songs sind einfach brilliant, gehören in ihrer Besinnung auf die klassischen Songwriting-Tugenden zu den beeindruckendsten Stücken Musik, die mir dieses Jahr begegnet sind.
An irgendetwas erinnert mich das die ganze Zeit. Die Musik löst ein starkes Deja Vu aus, zu einem Moment, den ich einfach nicht zu greifen vermag. Ich habe die letzte Stunde damit verbracht, danach zu suchen. Bin gedanklich alles durchgegangen, was mich musikalisch geprägt hat. Mein digitales Musikarchiv systematisch durchforstet, auf der Suche nach der Platte, die irgendwann etwas ähnliches in mir auslöste. Aber alles was ich finde, sind ein paar Bits and Pieces. Hier und da findet man eine vage Verwandtschaft zu Uncle Tupelo, den späteren Replacements, folkig angehauchten Powerpoppern wie Buffalo Tom oder den Lemonheads. Fetzen von Neil Young, Guided by Voices oder 90er Dinosaur Jr, Anklänge an Bowie und Reed. Alles eher hinkende Vergleiche und ich versuche immer noch den Code zu knacken.
Aber vielleicht ist es genau dieses Gefühl, das diese Songs transportieren. Der Gedanke, etwas altes, etwas liebgewonnenes verloren zu haben. Und ums verrecken nicht zu wissen, was es ist. Plötzlich ist da eine Melodie in deinem Kopf. Oder ein verschwommenes Bild, ein Zitat oder einfach eine seltsam bekannte, aber nicht definierbare Emotion. Ganz klar zapft es dein Unterbewusstsein an. Aus unerklärlichen Gründen fühlst du eine Euphorie, einen Schmerz, wirst ruhig oder aufgewühlt. Nicht von ungefähr handelt der vielleicht schönste Song von Freundschaft und Vergänglichkeit. Langfristig vergessen wir alles. Auch ohne den großen Aha-Moment bin ich dankbar, dass die Musik mit einen vergessenen Teil meiner Person resoniert. Mit Sicherheit die schönste Platte dieses Jahres.