Als ich das zwei­te Al­bum Un­der Co­lor Of Of­fi­ci­al Right von Pro­tom­ar­tyr aus De­troit zum ers­ten mal zu hö­ren be­kam, traf mich ih­re Mu­sik ganz un­vor­be­rei­tet. Der recht or­dent­li­che Vor­gän­ger No Pas­si­on All Tech­ni­que ge­fiel mir schon nicht schlecht, ließ aber nicht an­nä­hernd er­ah­nen, was für Hö­hen die Band spä­ter noch er­klim­men wür­de. Plötz­lich war da al­so die­se an­ge­piss­te Gift­sprit­ze von ei­ner Plat­te, ge­tra­gen von den au­ßer­ge­wöhn­lich ein­falls­rei­chen Ar­ran­ge­ments ei­ner Band, die mit al­len Mit­teln dar­an ar­bei­tet, die Kon­ven­tio­nen des Post­punk-Gen­res zu über­win­den. Und ein per­fek­ter Klang­tep­pich für die von Joe Ca­sey in ei­ner Mi­schung aus Wut und Re­si­gna­ti­on vor­ge­tra­ge­nen Vo­cals, die nicht sel­ten in scharf­zün­gi­ge Rants aus­ar­te­ten. Viel bes­ser kann zeit­ge­mä­ßer Post Punk doch kaum wer­den.

Dach­te ich. Und dann kam The Agent In­tellect. Ein vor Am­bi­ti­on bers­ten­des Al­bum, das den Fo­kus stär­ker nach au­ßen, auf das Welt­ge­sche­hen rich­te­te und des­sen Grund­stim­mung von tie­fer Me­lan­cho­lie und Welt­schmerz zu ei­nem lo­sen Kon­zept­al­bum von epi­schen Aus­ma­ßen ka­na­li­siert wur­de. Ein ein­dring­li­ches State­ment über die uni­ver­sel­len Ab­grün­de der mensch­li­chen Exis­tenz in ei­nem Um­feld, das zu­neh­mend den Ver­stand und jeg­li­che Ver­nunft hin­ter sich lässt. Ich ging zu dem Zeit­punkt da­von aus, dass Pro­tom­ar­tyr da­mit ih­ren krea­ti­ven Ze­nit er­reicht hat­ten.

Seit­her sind knapp zwei Jah­re ver­gan­gen, de­ren Er­eig­nis­se sich in ih­rer ge­ball­ten Wucht an­füh­len als wä­re die Mensch­heit be­reit­wil­lig und vor Freu­de joh­lend in ei­nen Pool aus Schei­ße ge­sprun­gen. Man kann's auch nicht mehr igno­rie­ren, der Ge­stank ist ein­fach zu pe­ne­trant und all­ge­gen­wär­tig. Nun ist be­sag­te Schei­ße ja auch der Brenn­stoff für die Mu­sik von Pro­tom­ar­tyr, das Po­ten­zi­al für ein or­dent­li­ches Feu­er ist al­so ge­ge­ben.

Und was für ein präch­ti­ges Feu­er sie hier ver­an­stal­ten! Wie schon beim letz­ten mal, als ich dach­te, Pro­tom­ar­tyr könn­ten da kaum noch ei­nen drauf­set­zen, über­trifft sich die Band ein wei­te­res mal selbst. Die di­ver­sen Er­eig­nis­se sind na­tür­lich nicht spur­los an Joe Ca­sey vor­bei ge­gan­gen. Di­rek­ter als je zu­vor neh­men sei­ne Ly­rics Be­zug auf das Zeit­ge­sche­hen, spie­geln mit deut­li­chen Wor­ten und aus­drucks­star­ken Bil­dern die all­ge­mei­ne Be­find­lich­keit, das Cha­os, den Zer­fall, die Ver­wir­rung ei­ner Welt wie­der, die ih­re be­drü­ckends­te exis­ten­zi­el­le Kri­se seit lan­ger Zeit durch­lebt. Da­zu pas­send schlägt auch die Mu­sik zu­neh­mend ge­tra­ge­ne, nach­denk­li­che Tö­ne an. Mit aber­mals ge­stei­ger­tem emo­tio­na­len Punch. Kei­ne Fra­ge, Pro­tom­ar­tyr fah­ren mal wie­der ganz be­acht­li­ches Dra­ma auf. Dass das funk­tio­niert, ist ih­rem bis da­to bes­ten, sorg­fäl­tig kon­stru­ier­ten Song­ma­te­ri­al von be­ein­druck­e­ner dra­ma­tur­gi­scher Fi­nes­se ge­schul­det. Die Plat­te ist ei­ne ver­blüf­fen­de, nie­der­schmet­tern­de, spek­ta­ku­lä­re Ab­fahrt. Und Pro­tom­ar­tyr sind die wich­tigs­te Band der letz­ten Jah­re. Punkt.