Ich bin Digitalmensch und hab das Sammeln physischer Tonträger schon vor Jahren aufgegeben. Schon als die ersten mp3-encoder sich breit machten war ich begeistert von den Möglichkeiten, den digitale Audiofiles bieten.
Auch wenn‘s damals noch wenige glauben wollten, die einzigen Hindernisse, die damals noch der Revolution im Weg standen waren der begrenzte Speicherplatz und die mickrigen Downloadraten. Heute wissen wir es natürlich besser und die Digitalisierung der Medien ist schon lange Realität.
So zur Mitte der Nullerjahre kam ich dann einmal in massive Geldnot und hab meine komplette Plattensammlung an glückliche Sammler verscherbelt, die jetzt hoffentlich viel Spaß damit haben.
Seitdem bin ich nur noch digital unterwegs und schaue nicht zurück. Auch wenn ich den Reiz von Vinyl als ehemaliger Sammler noch immer nachvollzhiehen kann (aber wohlbemerkt den von Vinyl-Fanatikern verbreiteten Audio-Mythen keinen Glauben schenke), bin ich heute froh, diesen Schritt schon früh gegangen zu sein. Allein schon wenn ich darüber nachdenke, wie viel mehr mein Musikkonsum mich heute kosten würde, wenn ich immer noch einen großteil der Platten aus Übersee bestellen müsste…
Hier will ich jetzt mal darüber reden, wie man ein digitales Musikarchiv Wohnzimmertauglich machen kann, bzw. wie ich das selbst gelöst habe. In diesem Artikel geht es jetzt um ein vollwertiges Media Center mit besonderem Fokus auf Musikwidergabe, in einem seperaten Post werde ich dann bald noch zwei schlanke Lösungen für einen reinen Audioplayer vorstellen.
In den Nullerjahren kam meine Musik wie bei den meisten Leuten zu der Zeit aus dem PC oder Laptop. Das war damals ja auch fast die einzige vernünftige Lösung. Die Hardware für Media Center war noch kostspielig, die Software relativ unausgereift und fertige Medienspieler für zuhause kaum zu gebrauchen. Und wenn eh schon ein PC 24/7 im eigenen WG- oder Jugendzimmer vor sich hin rasselte war auch nicht so wirklich der Bedarf für zusätzliche Hardware da.
Was aber, wenn man seine Musik und Filme auch im Wohnzimmer, in der Küche oder im Schlafzimmer parat haben will, wo ein ausgewachsener PC einfach zu viel Platz wegnimt und unnötig Krach macht? Ein Laptop passt da schon besser rein, aber immer in langes Kabel zum Verstärker zu legen finde ich auch mal eher suboptimal und wenn ich einfach Musik genießen will, ist es auch doof immer den Rechner zu booten und den Audioplayer zu öffnen.
Hier (Trommelwirbel…) betreten Mediacenter die Bühne.
Das Archiv
Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration in eine Media Center-Umgebung ist natürlich ein gut gepflegtes Musikarchiv mit vollständigen, einheitlichen Tags und ebensolcher Ordnerstruktur. Wer bisher lediglich seine Musik iTunes zum fressen gegeben und sich dann zurückgelehnt hat, wird jetzt möglicherweise eine böse Überraschung erleben, denn die beliebte Software kocht da oft ihr ganz eigenes Süppchen und gibt nicht viel auf gängige Standards. Ich empfehle, einen großen Bogen um iTunes und generell um Apple-Produkte für diesen Zweck zu machen.
Am einfachsten kann man Ordnung halten, wenn man sofort beim Hinzufügen neuer Dateien die Tags in einem übersichtlichen Tagger (z.B. mp3Tag für Windows) überprüft und ggf. korrigiert. Besonders bei Bandcamp erworbene Files haben oft die chaotischsten Tags. Automatische Filter und Templates ersparen einem dabei sehr viel Arbeit, essentielle Tools für Windows-Nutzer sind dabei das erwähnte mp3Tag und Foobar2000, das ”Schweizer Taschenmesser unter den Mediaplayern“.
Unter Linux und OSX gibt es leider wenig gleichwertige Software, daher verwalte ich mein Archiv immer noch mit einer Windows-Möhre, obwohl ich sonst glücklicher Ubuntu-Nutzer bin.
Ein ebenfalls empfehlenswerter Schritt beim hinzufügen neuer Files ist der ReplayGain-Scan (u.a kann das wieder Foobar2000 erledigen). Dabei wird nach dem EBU R 128 Standard die Audiodatei nach ihrer subjektiv empfundenen Lautstärke untersucht und dann ein spezieller Tag in die Datei geschrieben. Ordentliche Soft-/Hardware kann dann auf Wunsch beim Abspielen den Audiopegel anpassen, so dass wahlweise alle Alben oder alle Tracks mit der gleichen empfundene Lautstärke abgespielt werden. Im Album-Modus bleiben natürlich die Pegelunterschiede zwischen den Tracks erhalten, so wie es ja auch sein sollte.
Die Hardware
Es kommt immer mehr kostengünstige Kleinsthardware auf den Markt, die theoretisch schon für den Media Center-Betrieb geeignet ist (Intel NUC, Raspberry Pi, Banana Pi, Cubieboard etc.). Für ein ernsthaftes Media Center empfehle ich aber immernoch vollwertige PC-Hardware. Nicht nur erledigt die so Alltagsaufgaben wie das Scannen großer Musikdatenbanken deutlich flotter, auch eine interne Festplatte, Schnelle LAN-Controller und vielseitige Anschlussmöglichkeiten sind von großem Vorteil.
Meine wahl fiel vor ca. 2 Jahren auf einen Barebone von Zotac. Ein Nvidia Ion Chipsatz mit einem Dual Core Atom hat mehr als genug Leistung für die Medienwidergabe, verbraucht (relativ) wenig Strom und nach ein paar Bios-Tweaks ist die Maschine auch leise genug. Nur bei absoluter Stille nimmt man ein leises Rauschen wahr, das mich aber nicht weiter stört.
Das Gehäuse ist handlich und verschwindet problemlos in einem Regal, einem TV-Schrank, unter dem Sofa, etc.
Intern verrichtet eine 1TB 2,5“ Festplatte ihren Dienst, darauf liegt die von meinem PC gespiegelte Musik. Für Filme und sonstige Medien hängt derzeit eine 1,5 TB NAS am Heimnetzwerk. Eine Zeit lang hab ich auch die Musik auf der NAS gehabt aber dann festgestellt, dass das scannen und aktualisieren der Datenbank von einer internen HD deutlich flotter geht.
Per HDMI hängt ein Beamer dran. Audio geht über ein optisches S/PDIF-Kabel in einen externen D/A-Wandler und von dort in einen handelsüblichen Verstärker mit Stereolautsprechern.
Die Software
Auf dem Kasten läuft OpenElec, eine minimale Linux Distribution mit dem beliebten Kodi (ehemals: XBMC) Mediacenter. Fühlt sich gar nicht mehr an wie ein PC, abgesehen davon, dass irgendwo noch eine drahtlose Tastatur rumfliegt, die ich aber selten brauche. Das ganze ist einfach und schnell über einen bootfähigen USB-Stick installiert.
Kodi ist schon eine recht alte und entsprechend sehr ausgereifte Software, m.E. deutlich runder als teure kommerzielle Lösungen. Der Nachteil ist, dass die Unterstützung von kommerziellen Streaming-Diensten wie Netflix bisher kaum da ist. Daran Schuld ist das Digital Rights Management, was es Open Source-Entwicklern bisher praktisch unmöglich macht die Mehrzahl solcher Dienste zu implementieren.
Als rudimentäre Fernbedienung für Videos fungiert eine billige Hama-Remote mit IR-Empfänger, der per USB angeschlossen wird.
Und jetzt wird es interessant:
Die Fernbedienung
Mit einer herkömmlichen Fernbedienung kann man schon recht gemütlich durch eine Videodatenbank browsen und hat alle nötigen Wiedergabetasten an Bord. Aber wie ist es mit Musik?
Mit so einem Plastikteil durch große Musiksammlungen zu navigieren ist alles andere als komfortabel. Und will man beim Musikhören immer den Fernseher oder - noch schlimmer - den summenden Beamer laufen haben?
Hier kommen Smartphones und Tablets ins Spiel. Leider kann ich nur für Android-Nutzer genauere Infos geben, aber bei iOS wird‘s da nicht viel anders aussehen.
Kodi hat eine ausgezeichnete API mit der man das Mediacenter im lokalen LAN steuern, Datenbanken abfragen und noch anderen Schnickschnack anstellen kann. Das prädestiniert natürlich Mobilgeräte mit Touchscreen dafür, als Bildschirmersatz zu fungieren. So kann man ganz ohne Menükrämpfe und endloses Scrollen durch seine Musik navigieren, in der Datenbank suchen, Alben und Songs in die aktuelle Playlist einreihen etc.
Die Apps
Es gibt gleich einen ganzen Haufen Android-Apps für Kodi, aber drei davon sind besonders ausgereift und deshalb erwähnenswert. Alle bieten eine ordentliche und schnelle Datenbank mit Suchfunktion und ein mehr oder weniger rudimentäres Playlistmanagement.
Kore
Das ist eine relativ neue App und die offizielle Fernbedienungs-App für Kodi. Sie besticht durch ein sehr hübsches, aufgeräumtes und flottes Interface. Alles ist auf‘s Wesentliche reduziert aber alle essentiellen Funktionen sind an Bord. Mir persönlich fehlt die Funktion, die zuletzt hinzugefügten Alben anzuzeigen. Für mich als Musikblogger und Poweruser wichtig um den Überblick zu behalten, die meisten Menschen wird‘s nicht jucken. Die Datenbank wird automatisch und schnell mit dem Media Center synchronisiert.
Yatse
Yatse war die erste vernünftige App die ich ausprobiert und bis vor kurzem auch fast ausschließlich verwendet habe. Auf jeden Fall hat Yatse von allen mir bekannten Apps den größten Funktionsumfang und die ausführlichsten Konfigurationsmöglichkeiten. Im Vergleich zu den anderen hier aufgeführten Apps fallen mir ein paar Dinge negativ auf:
Das Interface ist nicht das Hübschste, das Playlistmanagement mit Gesten ist etwas ungeschickt gelöst und führt oft zu Fehlbedienungen. Die Playlistansicht hat einen eigenen Screen bekommen, was dazu führt, dass man oft zwischen Playlist und dem Now Playing-Screen mit den Transportbuttons hin und her wechselt.
Positiv hingegen finde ich die Wandlungsfähigkeit der Datenbank mit vielfältigen Ansichts- und Sortieroptionen. Auch nach dem für mich so wichtigen ”Hinzugefügt am…“-Datum.
Noch ein kleiner Wehrmutstropfen: Die Datenbanksynchronisierung dauert recht lange bei großen Musikarchiven (bei mir so 1-2 Minuten) und kann nur manuell oder in intervallen gestartet werden . Etwas ärgerlich, wenn man die neu hinzugefügte Musik sofort anhören will.
Music Pump
Diese App liegt im schicken Design auf einer Höhe mit Kore, ist aufgrund des größeren Funktionsumfangs aber etwas frickeliger. In Sachen Bedienkomfort und Funktionalität würde ich sie als Mittelweg zwischen KoRe und Yatse ansiedeln. Sehr schön sind die zusätzlichen Reiter in der Datenbankansicht: Man kann sich z.b. Compilations und ”normale“ Alben getrennt anzeigen lassen, die zuletzt gespielten oder hinzugefügten Titel und Alben. Die Datenbanksynchronisation läuft wie schon bei KoRe automatisch im Hintergrund und geht sehr schnell vonstatten.
Fazit
I‘m sold.
Seit zwei Jahren werkelt dieses Zeug bei mir im Wohnzimmer rum und nicht eine Sekunde habe ich einen herkömmlichen PC zur Medienwidergabe vermisst. Unvorstellbar, jetzt wieder den Laptop dafür zu benutzen.
Was leider noch nicht damit möglich ist, ist eine vernünftige Verwaltung der Musiksammlung. Dafür ist nach wie vor ein handelsüblicher PC unumgänglich.
Im nächsten Teil werde ich hier eine Lösung vorstellen, einen winzigen Audioplayer für fast umsonst und mit ähnlich komfortabler Bedienung aufzusetzen.
Ups, ja. :)
Oh ich hoffe du meintest 1TB und 1,5TB :D