Ich hab eigentlich schon lange aufgehört das aktuelle Geschehen im Hardcore aktiv zu verfolgen. Zu eingefahren und konventionell ist mir der größte Teil dieser Szene, der ich im Grunde doch einiges abgewinnen könnte. Rückblickend kann man sagen, dass das Genre bereits mehrmals scheinbar vor die Hunde gegangen ist und sich dann doch jedes mal auf die eine oder andere Art wieder erneuert hat, schon lange bevor ich alt genug war, mich dafür zu interessieren. In letzter Zeit schwindet bei mir aber die Hoffnung, dass Hardcore nochmal im größeren Stil frischen Wind erfährt und sich aus der kreativen Sackgasse manövriert.
Einen kleinen Hoffnungsschimmer bietet dann eine Platte wie von dieser Band aus Northampton, Massachusetts, die zwar auch nichts bahnbrechend neues bietet, es dafür aber schafft eine aktuellere Spielform wieder mit ein paar vergangenen, direkt oder indirekt verwandten musikalischen Strömungen zu veinen.
Die Platte geht los mit eher typischem melodischem Hard-/Emocore wie ihn etwa Fucked Up zu großer Popularität verholfen haben und vielleicht vermischt mit tendenziell eher stereotypen 90er Emo-/Postcore-Versatzstücken. So weit so vertraut. Aber etwa in der Mitte des ersten Songs passieren dann Dinge, die so gar nicht so rein passen wollen. Zuerst meldet sich plötzlich eine Schrammelattacke, die eindeutig den Geist früher Dinosaur Jr. wachruft, gefolgt von einem Gitarrensolo (ja eh schon ein ziemliches Genre-Tabu) im zweiten Song, das geradezu lebensecht J. Mascis channelt .
Im weiteren Verlauf der Platte kristallisieren sich dann Hüsker Dü als weiteres verbindendes Element heraus, an allen Ecken und Enden findet man hier Riffs und Harmonien, die genau so gut Outtakes aus deren beiden größten Klassiker-Alben Zen Acarde oder New Day Rising sein könnten.
Das reicht natürlich nicht um ein größtenteils kaputtes Genre zu rehabilitieren, aber es ist eine sehr interessante Platte dabei herausgekommen, hin und her gerissen zwischen eher gewöhnlichen Genre-Standards und dem lobenswerten Versuch, eben diesen zu entfliehen. Auf jeden Fall endlich wieder mal eine Platte, an der ich wirklich meinen Spaß habe. Ein Schritt in die richtige Richtung. Trotzdem muss sich Hardcore mehr anstrengen und aufhören im eigenen Saft zu versickern, um in Zukunft noch für irgendwen außer sich selbst relevant zu sein.
Die letztes Jahr erschienene EP Mitanni Mares dieser Kapelle aus Budapest ließ ja schon gespannt aufhorchen, aber jenes kleine Beben konnte mich in keinster Weise vorbereiten auf diesen Erdrutsch von einem atmosphärisch dichten Album. Ohne Scheiß, beim ersten Hördurchgang fiel mir von den ersten Takten an die Kinnlade mal sowas von auf den Boden. Und ich bin wirklich nicht mehr so leicht zu beeindrucken.
Es ist ein Album der scheinbaren Widersprüche. Semi-sinfonische Chorgesänge und new-agiges Geschwurbel treffen auf Blastbeats, Noiseattacken und selbst für einen überraschenden Bläsereinsatz ist hier Platz. Über weite Strecken zieht sich ein gewisser Gothic-Vibe durch die Songs, aber auch ein Psychedelisches Bluesriff kann da mal als Songfundament herhalten. An jeder Ecke passiert hier irgend etwas spannendes, aber nicht nur das. Am Ende hat das auf Albumlänge alles Hand und Fuß. Selbst in den konventionelleren Momenten können sie mit drückendem Postcore überzeugen, der stellenweise etwas an White Lung erinnert. Außerdem durchzieht das ganze Album eine unglaublich traurige wie auch epische Atmosphäre, eine surreale Andersweltlichkeit wie ich sie schon lange nicht mehr gehört habe, erst recht nicht auf einer Art Punkalbum.
Gustave Tiger haben hier ein ziemlich unvergleichliches Stück Musik erschaffen und man kann nur hoffen, dass sie damit auch außerhalb der ungarischen Landesgrenzen die Beachtung bekommen, die sie sich redlich verdient haben. Ich bin da mal verhalten optimistisch.
Hochenergetischer Noisepunk aus New York, der auf hohem Niveau vorwärts brettert wie eine raketengetriebene Dampfwalze. Das birgt zwar keine besonderen Überraschungen, wird aber Freunde der verwandten Genres in seliges Frohlocken versetzen.
Ruined Families sind eine nicht mehr ganz unerfahrene Hardcoreband aus Athen und wer sich mal ein Bild von der aktuellen Stimmung dort machen möchte, dem sei diese Platte als Illustration ans Herz gelegt. Stilistisch würd' ich das ganze mal als modernen, düsteren Postcore mit Crust-Einschlag beschreiben. Dabei geben sie sich in der Wahl ihrer Einflüsse und in ihren Songstrukturen durchaus originell, immer wieder blitzen alte Emoanleihen, Black Metal und Chaoscore-Einflüsse auf und man kann nie ahnen was für unheimliche Dinge jetzt schon wieder hinter der nächsten Kurve lauern. Die größte Leistung dieses Albums, die Eigenschaft, die lediglich eigenständige und ambitionierte Hardcoreplatten von wirklich herausragenden Genre-Werken unterscheidet, ist aber ihre mitreißende Emotionalität, die hier glaubhaft und nicht konstruiert erscheint, sondern den Hörer wirklich zu berühren weiß.
Toller Post-/Noisecore aus Flensburg, der sich nicht so recht auf ein bestimmtes Subgenre festnageln lassen will. Klingt mal etwas nach Dackelblut- oder früher Turbostaat-Schiene mit englischen Lyrics, mal erinnert es eher an den modernen Post-Hardcore der frühen Nullerjahre, noch angenehm frei von nervigen Metalcore- oder Screamo-einflüssen. Ox vergleicht sie mit Hot Snakes. Auch nicht ganz falsch, wobei Planner da doch irgendwie noch 'n ganzes Stück oldschooliger klingen. Zwölf Songs in zwanzig Minuten, keine Note zu viel gespielt. Sitzt alles perfekt. (mehr …)
Voll weihnachtlicher Straight Edge Hardcore aus Washington. Ich kann zwar den ganzen Szene-Bullshit mit seinen albernen Grabenkämpfen und dem krampfhaften Abgrenzungswahn nicht so ab und Straight Edge als Lebenshaltung erscheint mir heutzutage eh nur noch verbohrt und eingefahren, mag es auch vor dreißig Jahren mal für eine kurze Zeit vor einem sehr spezifischen Kontext etwas Sinn ergeben haben. Wie dem auch sei, die Musik ist geil hier. Genau so muss komproissloser Hardcore in der Gegenwart klingen, denn ein bisschen ehrliche Wut auf hohem Niveau hat das Genre in so Screamo-verwässerten und Metalcore-verblödeten Zeiten wie diesen schwer nötig. Und nicht zuletzt auch in einer Welt die zunehmend totalitäre Züge annimmt, was scheinbar kaum wen interessiert. Daher: Schreit mal schön Jungs, damit's auch ein paar Leute mitkriegen. Und schöne Feiertage und so… Fresst nicht zu viel. (mehr …)
Herausragender Hardcore-Punk ist ein rares Gut und Youth Avoiders aus Paris sind so mit das geilste was ich in diesem Bereich seit langem gehört habe. Das liegt vor allem daran, dass sie keinen Genrepurismus zelebrieren und es sich stattdessen irgendwo zwischen den Stühlen Oldschool Hardcore und Mittachtziger-Punkrock gemütlich machen, mit leichtem Wipers-Einschlag und auch etwas an eine Hardcore-infizierte Version früher Leatherface erinnernd. (mehr …)