Bin ich froh, dass es diese durch und durch ungewöhnliche Band gibt. Eine Band, die der DIY-Punkszene entspringt, aber sich nicht von dessen selbst auferlegten ästhetischen Konventionen davon abhalten lässt, Stilelemente aus altem Hard- und Southern Rock aufzugreifen, sie dem Kontext von hypermaskulinem Rockstar-Gehabe zu entledigen und mit lyrischen Inhalten von politischer Agitation und brennender Leidenschaft aufzuladen. Und egal wie knapp sie dabei manchmal die Kitsch-Falle um eine Haaresbreite verfehlen, alle Worte aus dem Mund von Tina Halladay (meines Erachtens eine der großartigen Vokalistinnen unserer Zeit) kaufe ich ihr ohne Vorbehalte ab.
Es fällt mir gerade schwer die Platte zu genießen, ohne dabei den Kontext der jüngeren Ereignisse in Hamburg im Hinterkopf zu haben. Und dazu sag ich mal herzlichen Dank auch, Leute. Ihr habt jetzt die perfekte Anti-Werbung für euer Anliegen gemacht und der Bundespolitik ein tolles Argument in die Hand gegeben, linken Protest zu verhindern, zu dämonisieren und generell in ein schlechtes Licht zu rücken. Ich hoffe, ihr habt euch dabei super-männlich gefühlt und habt 'nen guten Adrenalin-Kick beim Fangenspielen mit der Polizei bekommen. Der Backlash vom Staat wird nicht lange auf sich warten lassen. Viele Menschen, die eigentlich auf eurer Seite stehen, werden sich jetzt doppelt überlegen ob sie zusammen mit euch auf der nächsten Demo sein wollen. Und viele Menschen mit einem weniger gefestigten politischen Weltbild werden sehr zögern, bei der nächsten Wahl für eurem Anliegen mehr oder weniger nahe stehende Vertreter zu stimmen. Weil sie "links" jetzt mit Bildern von Gewalt und sinnloser Zerstörung assoziieren. Eine super Aktion war das.
Aber gerade in dieser aufgeladenen Stimmung finde ich Sheer Mag und ihr exzellentes Debütalbum so erfrischend und wichtig. Denn auch wenn sie sich in ihrer Rhetorik an Bildern von fliegenden Flaschen und Steinen bedienen (und es hängt vom einzelnen Hörer ab, ob er diesen Aufruf wörtlich oder symbolisch verstehen will), verlieren sich die Songs im Gesamtbild nicht in platter Kampfrhetorik, sondern setzten der Wut und der politischen Mobilisierung auch ein großes Maß an Menschlichkeit, Verletzlichkeit und Empathie entgegen. Die Liebe ist schon Titelgebend und die Platte besteht zu gleichen Teilen aus Protest- und Lovesongs. Oft auch beides auf einmal. Zwischen den Zeilen rufen diese Songs dazu auf, den Mitmenschen liebe- und verständnisvoll zu begegnen. Menschen zu vereinen, so unterschiedlich ihr Lebensstil, ihr Aussehen und ihre Vorlieben auch sein mögen. Und es dabei nicht zu vergessen, symbolische Flaschen und Steine auf die menschenfeindlichen Strukturen eines scheiternden Kapitalismus zu werfen. Oder um es mal in den Worten eines alten Fritz Lang-Schinkens auszudrücken: "Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein." Rage against the machine. Love against the machine.
Wenn ich es derzeit einer Band wünsche durch die Decke zu gehen, dann dieser. Dass ihre Musik viele Menschen bewegt, vereint und zum Nachdenken bringt.
Die schmutzigste aller Noise- und Garagepunk-Bands hat anlässlich ihrer aktuell laufenden US-Tour mal wieder ein neues Stück Scheiße rausgedrückt und auf ein kotzgrünes Tape transferiert. Es gibt überwiegend unveröffentlichtes Material zu hören und wie immer ist das nichts für Feingeister und HiFi-Snobs.
Zwei Jahre nach ihrem sehr ordentlichen Demo ist im Mai die erste 7" der Band aus Atlanta auf State Laughter erschienen und weiß durchaus zu gefallen mit einem irgendwo zwischen Postcore/-punk und Noiserock angesiedelten Sound und einem konstant angepisst rumnölenden Sänger.
Eine schon etwas ältere aber großartige EP einer Band aus dem Norwegischen Stavanger. Um deren Musik zu beschreiben könnte man Begriffe wie Jazzpunk, Postpunk und experimenteller Noiserock bemühen, den Kern der Sache trifft man damit aber nicht wirklich.
The Roamin' Catholics aus Sydney sind (oder waren? Ich bin mir da nicht so sicher…) mal wieder eine von diesen Underground-Supergroups, wie sie in der australischen Szene regelrecht aus dem Boden sprießen; es sind unter anderem Mitglieder von Ghastly Spats, Housewives, Dry Finish, Bitch Prefect und Peak Twins beteiligt.
Das erste Minialbum dieser Formation klingt in etwa wie eine Vermengung von klassischen Vertretern des unkonventionellen Pop á la The Fall, Flipper oder Half Japanese mit aktuellen Garagepunk-Bands wie etwa Ausmuteants und Uranium Club. Das Ergebnis ist wunderbar knarziger Rock'n'Roll irgendwo zwischen den Stühlen von Garage- und Postpunk, der trotz vieler Verschrobenheiten nie auseinander fällt.
Auf dem ersten Album dieser Kölner Band bekommt man schwer festzunagelnden, zu großen Teilen instrumentalen Postpunk von ständig wechselnder Gestalt und mit starkem Hang zum Experiment zu hören, durchzogen von seltsam anmutenden Sprachsamples und mit gelegentlichem, an alte No Wave-Schule erinnernderm Saxophoneinsatz.
Aber in der chaotischen Vielfalt der Platte meine ich doch ein paar rote Fäden zu erkennen und fühle mich abwechselnd mal an Minutemen, The Pop Group oder Mission Of Burma-Geschrammel erinnert, in anderen Momenten hat's einen Touch von Gang Of Four, manchmal riecht es verdächtig nach The Fall oder nach dem unkonventionellen Postpunk/Proto-Postcore von Saccharine Trust und Slovenly.
Milked ist neben den an dieser Stelle schon mehrfach erwähnten Hung Toys ein weiteres Soloprojekt von Kelly Johnson, seines Zeichens ehemaliger Frontmann der Noiserocker Geronimo!. Unter dem Alias hat er im Laufe der letzten beiden Jahre bereits ein Album und eine EP mit schrammeligem Psychedelic-Pop aufgenommen, aber mit seinem neuesten Langspieler meint er es ganz offensichtlich ernst.
Die charmante Lo-Fi Homerecording-Ästhetik ist einem wuchtigen Klangkostüm gewichen, das die neuen Songs eher an die beiden Hung Toys-Platten oder an seine alte Band erinnern lässt; ein heutzutage selten gewordener Sound aus kräftig rockendem Indie-/Alternative Rock, vermischt mit der Melodiösität kontemporärer Krachbands á la Wavves, California X oder Happy Diving und veredelt durch gelegentliche Anklänge an den psychedelischen Powerpop der Soft Boys.
Aber die größte Stärke dieser neun Songs liegt in den souveränen, absolut tadellosen Songwriting-Qualitäten von Kelly Johnson begründet und einem durchweg exzellenten Gespür für mitreißende Melodien. Eigentlich ist hier jeder Song ein Volltreffer. Eine wahnsinnig starke Platte und möglicherweise die beste Veröffentlichung aus diesem speziellen Genre-Spektrum, die mir dieses Jahr untergekommen ist.
Das zweite Album der Band um Crocodiles-Sänger Brandon Welchez gefällt mir mal wieder um Längen besser als das, was seine andere Band in vergangenen Jahren so fabriziert hat und knüpft nahtlos da an, wo das Debütalbum vor zwei Jahren aufgehört hat: Oldschooliger Hardcorepunk trifft hier auf staubtrockene Garagepunk-Riffs, einen gelegentlichen Hauch von postpunkiger Dissonanz und es weht kein Wind von 1976 1977. Auch der Vergleich zu frühen Teenanger und Video trifft immer noch zu.
Da hab ich letzte Woche noch den Wunsch nach etwas besser klingenden Aufnahmen der Band aus Sydney geäußert und der geht dann auch noch prompt in Erfüllung. Und zwar in Form einer Live-im-Studio-Session für Black Wire Records. Die bestätigt den guten Eindruck, den die LoFi-mäßige erste (Live-)EP bei mir gemacht hat. Ganz exzellentes Zeug ist das nämlich. Immer aufpassen, was man sich wünscht. Diesmal ist es noch gut ausgegangen.