Die Wörter "Dream-/Indie Pop" verkommen ja langsam dank auditiver Übersättigung zu einem ähnlich verpönten Unwort wie es einerseits mit "Emo" passiert ist. Wie es aber in letztgenannten Genre für jede… nee, sagen wie mal für alle zehn bis hundert uninspirierten Trittbrettfahrer-Veröffentlichungen auch immer die eine oder andere Perle gab, die man auch heute noch in gerne in Erinnerung behält; so ist auch die derzeit so angesagte Form melodischen Indierocks an sich nichts falsches, wenn talentierte Leute mit der Fähigkeit zu eindringlichem Songwriting das in die Hand nehmen.
Der Kurzspieler von den Nostalgics aus Milano ist so ein Fall, der rein genremäßig zunehmend ein rotes Tuch für mich wäre, ein grell leuchtendes "Here be dragons, do not enter"-Schild. Mich aber doch zu fesseln weiß. Zwei hervorragend ausbalancierte Songs, die man wahlweise als Twee-/Janglepop, Shoegeze, C86 or whatever bezeichnen könnte, als ultramelodischen, geradezu opulenten Indierock oder… nun ja, Pop halt. Und der schwurbelt nicht seicht und unbemerkt zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus (wie ein Großteil anderer Genrevertreter), sondern der setzt sich ganz böse fest. Genau in der Mitte, wo sich das Hirn in gut und böse spaltet.
Leckere EP einer Band aus Toronto. Das ist ausgezeichneter Indierock mit deutlichen Postpunk-/core-Einflüssen und leichten Spuren von Mittneunziger-Emo. Könnte man aktuell z.b. mit Solids, Wild Moth oder Tideland vergleichen, oder mit alten Swervedriver-Platten. Ein (leider ziemlich kurzes) Fest für Freunde dichter Gitarrenwände.
Hochenergetischer Noisepunk aus New York, der auf hohem Niveau vorwärts brettert wie eine raketengetriebene Dampfwalze. Das birgt zwar keine besonderen Überraschungen, wird aber Freunde der verwandten Genres in seliges Frohlocken versetzen.
Hervorragende Garagenrockcombo aus Brüssel. Ihr Debütalbum ist bis zum Rand vollgestopft mit infektiösen Hooks und sie meistern verschiedene Strömungen des Genres souverän und gekonnt, nicht gewollt. Dabei gönnen sie sich auch mal ein paar Ausflüge in psychedelischere Landschaften und folkige oder powerpoppige Momente gibt's auch. Und ein ganzer Eimer voll tanzfächenkompatibler Pophooks, ohne den kleinsten Anflug von Langeweile und Seichtigkeit.
Wunderschönen Noisepunk gibt's auf diesem Kurzspieler der Band aus dem spanischen León zu bestaunen. Auf die B-Seite packen sie dann eine nicht weniger spaßige Drone-Orgie.
Nach all dem Knarz und Rotz und Krach, der die letzten Posts hier domnierte, hier mal ein kleiner melodischer Ruhepol. Die 45er der Band aus Philadelphia beherbergt vier eingängige Indierocker, die so auch vor 10-20 Jahren entstanden sein könnten. Das begibt sich schon etwas in Emo-Gewässer und erinnert auch sehr an den Melodischen Punkrock der Mittneunziger, aber zum Glück wählen sie ihre Einflüsse mit Sorgfalt aus. Das wären z.b. Samiam, Leatherface oder Superchunk. Auch zu den Replacements oder späten Hüsker Dü könnte man Vergleiche ziehen. Und gegenwärtig könnte das auch Freunde melodischen Krachs á la Japandroids glücklich machen.
Dieses Quartett aus San Diego spielt eine erfrischend unverkrampfte und verspielte Variante zeitlosen Indierocks, die sich ganz locker in die derzeitige Welle 90er-beeinflusster Bands wie Grass is Green, Slippertails oder Dead Wives einfügt. Dabei zeigen sie ein fabile für gekonnt eingesetzte dissonanzen und locker aus dem Ärmel geschüttelte Schrägheiten. Sie haben unter anderem auch schon Konzerte für Sebadoh eröffnet, das passt auch ganz gut ins Konzept. Erinnert manchmal auch an frühe Wavves, hätten sich jene damals Rollen unter ihre Surfbretter geschraubt.
Action Beat sind eine Noisetruppe aus dem britischen Bletchley, bestehend aus drei oder mehr Drummern und noch mal rund doppelt so vielen Dick- und Dünnsaitenquälern. Als ob das noch nicht genug des Krach- und Chaospotenzials wäre, haben sie sich für ihre aktuelle Veröffentlichung mit G.W. Sok, dem Frontmann der niederländischen Jazzcore-Legende The Ex zusammengetan. Und was dabei am Ende herauskommt braucht sich keineswegs hinter deren Output zu verstecken. Das ist zeitloser, experimenteller Noiserock irgendwo zwischen gaaanz frühen Sonic Youth, frühneunziger Touch and Go (insbesondere z.b. Flour) und AmRep-Zeugs, etwas Post-/Mathcore und auch deutlichen Spuren der japanischen Kollegen á la Boredoms oder Merzbow. Großer Sport ist das.
Immer wenn ich denke, in Sachen primitivem Garagenpunk schon alles gehört zu haben, schafft es doch noch irgendwer positiv aus dem ganzen Sumpf herauszustechen. Das letztjährige Album von Strange Attractor war diesbezüglich auch noch mal ein kleiner Schock, der mich vor allem eins lehrte: Es geht immer noch mal eine Nummer reduzierter, einfacher und blöder. Und 'nen gewaltigen Spaß macht's trotzdem. Auf ihrer neuen EP geben sich die Kanadier ein (ganz kleines) bisschen polierter in Songwriting und Produktion, ansonsten ist aber alles beim alten geblieben: Garagenpunk, der auch etwas von der Wut der frühen Hardcore-Ära kanalisiert (und sich auch musikalisch nicht ganz unbeeinflusst zeigt), sich zum Glück aber dabei kein bisschen ernst nimmt.
Ziemlich unbemerkt haben Psychic Fair aus dem kanadischen Halifax bereits im Januar dieses tolle Debüt veröffentlicht. Das beginnt mit eher hymnischem Indierock, bei dem ich mich ein wenig an die Australier Blank Realm oder Bed Wettin' Bad Boys erinnert fühle. Wenn sie dann im Mittelteil das Tempo etwas drosseln, kommt ihre psychedelische Seite ans Tageslicht. Überhaupt verpacken sie in den kompakten dreißig Minuten eine erstaunliche Bandbreite an Einflüssen, klingen dabei aber durchweg eigenständig. Nicht zuletzt durch eine schwer auf den Punkt zu bringende, irgendwie beklemmend wirkende Seltsamkeit, die sich wie ein roter Faden durch die Songs und Arrangements zieht.